Am 13. März 1813 ordnete Napoleon die Einrichtung einer optischen Telegrafenlinie von Metz nach Mainz an. Eine der Telegrafenstationen stand in Finther Gemarkung. Ihre Existenz ist weitgehend unbekannt, zumal sie in den historischen Unterlagen unter der Bezeichnung „Station Drais“ geführt wird. Im folgenden wird die Existenz der Station Drais/Finthen belegt und der wahrscheinliche Standort erörtert.
Das französische Telegrafensystem
Bereits im 18. Jahrhundert hatte sich in Frankreich ein optisches Telegrafie-System zur Übermittlung von Nachrichten etabliert, nach seinem Erfinder Claude Chappe auch Chappe-System genannt.
Das optisch-mechanische System bestand aus einem Mast, an dem ein schwenkbarer Querbalken angebracht war, an dessen Enden wiederum zwei schwenkbare Signalarme befestigt waren. Durch ein ausgefeiltes Kurbelsystem wurden die Einstellungen vorgenommen. Die Postion der
Arme entsprach einem Buchstaben. Der Nachteil des Systems bestand darin, mitlesen zu können, was durch eine Codierung kompensiert wurde.
Um eine Nachricht von A nach B übermitteln zu können, wurden auf einer Strecke, auch Telegrafenlinie oder kurz Linie genannt, einzelne Stationen errichtet, die mit dem Chappe-System ausgerüstet wurden. Je nach vorhandenen Möglichkeiten wurde der Mast auf bereits bestehenden Gebäuden, auf separat dafür erbauten Steintürmen oder noch einfacher und schneller, auf hölzernen Unterbauten errichtet. Der Abstand der Stationen betrug in der Regel zwischen 9 und 15 km. Zwei „Stationäre“ bedienten das System und behielten die Nachbarstationen mittels geeigneter Zielfernrohre im Blick.
Die erste 225 km lange Strecke wurde 1794 zwischen Paris und Lille errichtet. Sie bestand aus 22 Stationen. Ihre Überlegenheit gegenüber den üblicherweise zur Nachrichtenübermittlung eingesetzten berittenen Boten konnte das Chappe-System am 15. August 1794 unter Beweis stellen. Die erste offizielle telegrafische Nachricht vermeldete die Rückeroberung der Gemeinde Le Quesnoy bei Lilles durch die Revolutionstruppen. Die komplette Nachrichtenübermittlung dauerte eine Stunde, ein berittener Bote hätte dafür 24 Stunden benötigt.
Diese überzeugende Demonstration der Leistungsfähigkeit des Chappe-Systems beschleunigte den Netzausbau in Frankreich, zumal sich Napoleon durch schnelle Nachrichtenübermittlungen einen strategischen Vorteil für seine militärischen Operationen versprach.
Bau der Linie Metz – Mainz
Nach Napoleons Debakel im Russlandfeldzug 1812 und dem damit verbundenen Rückzug des Restheeres über Mainz nach Paris erkannte der Kaiser, dass seine wichtige Grenzfestung Mayence nicht an das Telegrafienetz angeschlossen war. Der Missstand sollte behoben werden, zumal 1813 seitens der generischen Koalitionstruppen eine Invasion Frankreichs drohte.
Am 13. März 1813 ordnete Napoleon die Einrichtung einer Telegrafenlinie von Metz nach Mainz an. Metz wurde schon als Zwischenstation der Linie Straßburg-Paris genutzt, durch den Bau der neuen Seitenlinie wurde Mainz ebenfalls direkt mit Paris verbunden. Der Bau lag in den Händen von Abraham Chappe, dem jüngsten Bruder des 1805 verstorbenen Claude Chappe. Um Baumaterial schneller transportieren zu können, und wegend er gebotenen Eile wurde, zunächst eine provisorische Linie entlang von Hauptverbindungswegen, die bereits im Mai 1813 in Betrieb gehen konnte. Sie begann am Justizpalast in Metz und endete zunächst auf dem Drususstein in der Zitadelle in Mainz, später dann auf dem Turm der Stefanskirche.
Diese Linie funktionierte nur bedingt gut, weshalb bereits parallel zum Bau der provisorischen Linie mit dem Bau einer weiter westlich gelegenen Linie begonnen wurde, deren Standorte besser an die Topographie des Geländes angepasst waren. Wegen der Eile bei der Errichtung ist davon auszugehen, dass die einzelnen Stationen aus Holzkonstruktionen bestanden.
Die Standorte der einzelnen Stationen können der Grafik Rammification Metz-Mayence, erstellt durch die Association Mont-Saint-Quentin Télégraphe de Chappe (Le Ban Saint-Quentin, Moselle) entnommen werden, einer Vereinigung, die sich der Erforschung des französischen Telefgrafiewesens widmet. In den meisten heutigen Darstellungen ist die Linie Sauerschwabenheim – Mainz als direkte Verbindung dargestellt. Im Gegensatz dazu können wir auf dieser Darstellung eine zusätzliche, dazwischenliegende Station Drais entdecken, deren genauer Standort jedoch unklar ist.
Wie kann sich die Association Mont-Saint-Quentin Télégraphe de Chappe (im folgenden AMSQ angekürzt) sicher sein, dass es diese Station Drais gab? Anders als die meisten Forscher, betrachtete die AMSQ nicht nur die üblichen in Klarschrift zur Verfügung stehenden Unterlagen, sondern widmete sie sich auch den 1813 in Stenographie-Schrift verfassten Dokumenten. Die Ergebnisse veröffentlichte die AMSQ auf ihrer Homepage unter:
„Supplément N° 20 juin 2013 /BICENTENAIRE DE LA MISE EN SERVICE EN MAI 1813 DE LA RAMIFICATION METZ - MAYENCE
APPELATION D’ORIGINE DE L’ADMINISTRATION TÉLÉGRAPHIQUE (LIGNE METZ – MAYENCE)“
Die entsprechenden Textpassagen mit der Erwähnung der Station Drais werden im Folgenden im Original wiedergegeben.
In der Einleitung zum Thema:
„…Les archives de l’année 1813, rédigées en sténographie, stoppaient nos recherches. Madame Maria Barthelet, professeur de sténographie, en les décryptant nous apportait enfin de quoi terminer le puzzle sur les stations manquantes de cette ramification. Sur la photocopie qui suit, on constate, en marge date et destinataires de la correspondance, et dans celle-ci, les lieux écrits en clair : Niederkirchen, Stemmveiler. Il en est ainsi pour d’autres stations, dont Drais, ainsi que les noms des stationnaires affectés à chaque station….“
Zitate aus den eigentlichen Akten:
„...Le 27 mai à M. Colchen à Kreusnack.
Je lui ai envoyé l’indicatif du poste de Drais afin qu’il en donne connaissance au stationnaire et je lui recommande de ne rien négliger pour l’exécution exacte des ordres qui lui ont été donnés….“
„...Le 28 mai à l’administration / Personnel. J’ai l’honneur de vous adresser la liste des postes télégraphiques de la ramification de Mayence et des signaux indicatifs de chacun. L’état que je vous ai envoyé avant hier en présente que 20, mais une lettre que j’ai reçu le 26 au soir de M. Chappe, me fait connaître la nécessité où il a été d’en établir un de plus, qui est celui de Drais. M. Chappe ne m’a pas demandé de stationnaire pour ce poste et j’ignore même ceux qu’il y a placés, en conséquence je ne puis vous en dire le nom. Si d’après ce changement je dois refaire un autre état que celui que j’ai eu l’honneur de vous adresser le 26, je vous prie de me le faire connaître par le télégraphe…“.
„...Le 3 juin à M. Offroy à Mayence
Je vous donne avis, Monsieur, que conformément à la demande qui m’en a été faite par M. l’Inspecteur Général des lignes télégraphiques, il est parti aujourd’hui 2 stationnaires pour le poste de Drais et qu’ils doivent arriver à Mayence le 7 du courant. Ces stationnaires sont 2 jeunes villageois de parents honnêtes ils étaient depuis quelque temps à un des postes de Metz, division où ils se sont formés. Tous deux connaissent le travail, mais le Sieur Gobland m’avait paru mieux fait que Charry ayant reçu plus de leçons. Cependant tous 2 sont en état de faire le service, ils ont de l’intelligence et paraissent disposer à être très exacts. C’est à ce titre que je vous les recommande prenant à eux beaucoup d’intérêts. D’après ce que m’a mandé M. l’Inspecteur Général, ils doivent être portés sur votre état de paiement des traitements à commencer du 25 mai. Je vous prie de me faire connaître par le télégraphe si vous avez reçu l’état nominatif des employés de la ramification que je vous ai envoyé le 26 mai à Mayence….“
„...Le 4 juin à l’administration / personnel
Monsieur l’Inspecteur Général des Lignes Télégraphiques m’ayant mandé de lui envoyer 2 stationnaires pour le poste de Drais, j’ai l’honneur de vous informer que j’ai fait partir le 2 du courant pour arriver à Mayence le 7 les nommés Gobland Gaspard, né à Gondrecourt le 13 sept 1793. Conscrit de 1813 mis à la garde du dépôt sous le N° 54.
Jn. M. Charry Né à Fléville Moselle, le 12 janvier 1793. Conscrit de 1813 placé à la garde du dépôt sous le N°40. M. l’Inspecteur Général me mande aussi de vous prévenir qu’ils devront figurer sur l’état nominatif des employés commencé du 25 mai qui parait être l’époque où le nouveau poste a été mis en activité. J’ai reçu avec votre lettre du 1er de ce mois le vocabulaire détaché que vous m’avez envoyé et qui annule celui dont on s’est servi jusqu’à présent….“
Durch diese 4 Erwähnungen in den Stenographisch geführten Unterlagen/Akten ist die Existenz der Station Drais hinreichend belegt. Es bleibt die Frage zum Standort, die im nächsten Absatz erörtert wird.
Die Lage der Station „Drais“ in Finther Gemarkung
Zur Methodik: Um die Lage der Station Drais zu bestimmen, waren Geländebegehungen vor Ort im Vergleich zu den historischen Unterlagen notwendig. Die Station muss in der Nähe von Drais, wenn nicht sogar in Drais selbst zwischen den Stationen am Heidehof und der Endstation in Mainz gelegen haben.
Ausgangspunkt zur Ermittlung der Sichtachsen war die Station Heidehof in Sauerschwabenheim (heute Schwabenheim), in den meisten modernen Auflistungen zur Telegrafenline Metz -Mainz als Station 22 gekennzeichnet. Sie lag an der äußersten nordöstlichen Grenze der Gemarkung Schwabenheims in unmittelbarer Nähe zum „Heidehof“, der bis um 1840/50 bestanden hat. Zur Lokalisierung der Station im Gelände ist der Bezug zum ehemaligen Gehöft und insbesondere der Sichtbezug zur Station 21 auf der Napoleonshöhe in Sprendlingen von Bedeutung.
Die Lage des Heidehofes ist dem Autor bislang nur von einer Karte von ca. 1840 bekannt. Auf jüngeren Karten aus der Zeit des Großherzogtum-Hessens, ist der Hof, benannt nach dem Flurstück Heide in dem er erbaut wurde, nicht mehr verzeichnet. Laut Eintrag in dieser Karte lag der Hof 2 ¼ Stunden von Mainz entfernt, südlich eines Waldgebietes. Dieses bestand von Ost nach West aus Finther, Mönchs- und Heiserwald. Wahrscheinlich war er schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bewohnt, denn im Gegensatz zum Layenhof und dem Häuserhof, die mit jeweils 30 Bewohnern geführt werden, fehlt diese Angabe beim Heidehof.
Auf ein modernes Luftbild übertragen, würde der Heidehof heute mitten auf der Panzerstraße Wackernheim - Lerchenberg liegen, an der Kreuzung zum Weg Drais-Schwabenheim. Zusätzlich wurde auf das Luftbild die Lage der 1813 noch vorhandenen Wälder übertragen, was für die historischen Sichtachsen und damit für die Platzierung einer Telegrafenstation von Bedeutung ist. In der Nähe des ehemaligen Heidehof lässt sich eine geeignete Anhöhe, zu der eine Sichtbeziehung zur Napoleonshöhe in Sprendlingen hergestellt werden kann leicht finden, sie liegt lt. Wikipedia Deutschland, bei 49° 57′ 23″ E, 8° 7′ 48″ N.
Der Endpunkt der Telegrafenlinie lag in Mainz zunächst auf dem Drususstein in der Zitadelle, wurde von dort aber im November 1813 auf den Turm der Stefanskirche verlegt. Zieht man jeweils eine direkte, gerade Linie von der Station Heidehof zu den Endstationen Drususstein und Stefanskirche, kreuzen diese den Ober-Olmer Wald, der die Sicht erheblich behinderte. Nördlich der Station Heidehof lag der Heiserwald. Zwischen den beiden Waldgebieten gab es zwar einen schmalen Sichtkorridor, dieser gab aber nicht den Blick auf die Endpunkte in Mainz frei.
Um diesen Missstand zu beheben, war eine weitere „Umlenk“-Station nötig, deren Standort bereits 1813 durch Geländeerkundungen bestimmt wurde. Der Autor bediente sich 2021 nach Sichtung historischer und aktueller topographischer Karten der gleichen Methode und wurde auf dem Hessler, einer Erhebung bei Finthen und Drais fündig. Auf dessen höchstem Punkt steht heute neben dem Wasserwerk Drais von 1900, der Hochbehälter des Wasserwerk Finthen aus den 70er Jahren.
Setzt man nun diesen Punkt zwischen den Stationen Heidehof und Mainz ein, ergeben sich unter Umgehung des Ober-Olmer Waldes klare Sichtachsen. Theoretisch könnte die Station Drais zwar etwas nördlicher oder auch südlicher gelegen haben, die Schneise zwischen den Waldstücken und die damit verbundene Blickachse von der Station Heidehof, schränkt die Variationsbreite allerdings ein. Die Strecke vom Heidehof zur Station Drais betrug lediglich 3,5 Kilometer und von dort zur Stefanskirche 7,1 Kilometer.
Nach Westen hin fällt das Gelände relativ schnell ab. Während der Hessler noch eine Höhe von 235m hat, liegt die Gemarkungsgrenze Finthen/Drais nur noch bei 215 Metern. Demzufolge kann die Station Drais unter pragmatischen und logischen Gesichtspunkten eigentlich nur auf dem höchsten Punkt des Hesslers und damit in Finther Gemarkung gelegen haben. Das konnte nach Meinung des Autors in der Geländebegehung eindeutig verifiziert werden, siehe hierzu die Bilder vom Hessler in Richtung Mainz im Annex.
Dass sich die Erbauer der Stationen 1813 nicht unbedingt in den Gemarkungen auskannten, wird auch bei anderen Stationen deutlich. So wird die Station Sprendlingen auch in Zotzenheim und in Aspisheim verortet, je nachdem auf welchen Ort die französische Bautruppe wohl blickte. In Finthen blickten sie in der Sichtachse nach Mainz über Drais hinweg, Finthen lag außerhalb des Blickfeldes, ergo aus dem Auge und dem Sinn, weshalb die Station wohl nach Drais benannt wurde.
Resümee zur Lage
Die Telegrafenlinie Metz – Mainz muss um die „Station Drais“ ergänzt werden, ihre Existenz ist ab dem 27. Mai 1813 hinreichend belegt. Wenn auch letztlich nur durch Indizien bewiesen, lag sie auf dem Hessler und damit in Finther Gemarkung. Da es sich wegen der Eile bei der Erbauung der Telegrafenlinie nur um Holzbauten gehandelt haben dürfte, wird ein archäologischer Nachweis schwierig, bis unmöglich sein. Eigentlich hätte sie Station Finthen heißen müssen, aber durch die falsche Zuordnung zu Drais ist dieser Ortsname seit 1813 in den Unterlagen tradiert.
Das Ende der Telegrafenlinie
Nach der Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig (16.-19. Okt. 1813), rückten die alliierten Truppen weiter gegen Westen vor. In der Neujahrsnacht 1813/14 setzte Blücher mit seinen Truppen bei Kaub über den Rhein. Die Vorhut des Korps Yorck drang am 1. Januar 1814 nach Kreuznach vor, wodurch ihnen die dortige Telegrafenstation in die Hände fiel. Das war nach nur rund 8 Monaten Betriebszeit das faktische Ende der Telegrafenlinie Metz-Mainz. Was nun tatsächlich mit den einzelnen Stationen geschah, ist bisher nicht weiter bekannt. Davon ausgehend, dass es sich um Holzbauten aus gut behauenen Balken gehandelt hat, dürften sich „Abnehmer“ dafür gefunden haben. Die kurze Zeit des Bestandes und das Fehlen baulicher Überreste, ließen die Station Drais/Finthen aus dem kollektiven Gedächtnis weitgehend verschwinden.
Den Aufsatz können Sie hier als PDF herunterladen: Napoleons unbekannte Telegrafenstation in Finthen 1,2MB