Ein reicher Kohlebaron und seine Eskapaden.

Die Waldthausenstraße beginnt im Finther Ortskern an der Poststraße und führt vorbei an der Römerquelle über die Autobahn in den Lennebergwald. Kurz vor der Einmündung in die von Gonsenheim kommende L 422 geht es links in den Wald zum Schloss Waldthausen, namensgebend für die Straße. Die Gebäude stehen auf Budenheimer Boden, gehören der Stadt Mainz und sind aktuell noch in Erbpacht an den Sparkassenverband Rheinland-Pfalz vergeben.

Das Gebäude, dessen 40 Meter hoher Turm schon von weitem zu sehen ist, war weder Schloss noch ist es sehr alt. Erbaut wurde es in den Jahren 1908 bis 1911 von Martin Wilhelm von Waldthausen, einem Kohlebaron aus Essen. Waldthausen, der mit seinem Vermögen von 40 Millionen Goldmarkt reicher als Kaiser Wilhelm war, besaß Kohlegruben, Stahlwerke, Rheinschiffe und riesige Ländereien. Er war ein exzentrischer Patriarch, prahlend, geltungs-süchtig, protzend. Seinen Adelstitel hatte der Vater durch Geld erkauft und für den „geborenen“ Adel, dessen Nähe und Anerkennung Waldthausen stets suchte, waren und blieben die Waldthausens „Geldadel“ und Neureiche. 1901 trat Martin Wilhelm ein in das traditionsreiche „Husaren Regiment König Humbert Nr.13“ in Mainz, die Elitetruppe des hiesigen Militärs, um dem echten Adel näher zu sein.

Waldthausen wurde dort schnell Rittmeister und in seiner Überheblichkeit genauso schnell auffällig. Er hielt nicht viel vom deutschen Monarchen und soll er sich bei einer Feier zum Geburtstag des Kaisers abfällig über diesen geäußert haben. 1904 besuchte Wilhelm II das Manöver am „Großen Sand“ in Mainz, und es kam zu einem Eklat. Als der Kaiser, der offensichtlich von den Schmähungen gehört hatte, die Husaren inspizierte, rügte er von Waldthausen wegen eines angeblich nicht korrekt geschlossenen Uniformknopfes. Als der Kaiser dann an Waldthausens Truppenteil vorbeiritt, soll der zutiefst beleidigte Waldthausen dem Kaiser das Zitat des Götz von Berlichingen nachgerufen haben. Er war sich der Konsequenzen der Majestätsbeleidigung bewusst, ritt sofort zurück zur Kaserne, warf seinen Säbel über die Mauer und floh. In Kassel wurde er verhaftet, aber dank seines Vermögens konnte er sich schnell wieder freikaufen, worauf er sich in die Schweiz absetzte und dort die Staatsbürgerchaft und den Titel eines Lichtenbergschen Freiherren erwarb. Auch die 13 er Husaren wurden bestraft und in das lothringische Diedenhofen versetzt.

Waltdhausen blieb nicht lange in der Schweiz, er kam zurück nach Essen, heiratete die Tochter eines reichen Bankiers und kam 1906 zurück nach Mainz, wo er die „Villa Ditsch“ am Südrand der Festung erwarb. 1908 schreibt er dann im Mainzer Anzeiger einen Wettbewerb aus für „eine schlossartige Villa in der Nähe von Mainz auf der Höhe eines nach dem Rhein abfallenden Geländes“. Er erwarb von der Gemeinde Budenheim, dem Universitätsfond und einigen Budenheimer Landwirten für 161 316 Goldmark 950 000 qm um den 176 Meter hohen Lenneberg. Waldthausen verschaffte lokalen Handwerkern jahrelange Arbeit und ließ den protzigen Bau in der Rekordzeit von zwei Jahren errichten.

Aber er machte sich auch schnell unbeliebt durch seine fordernde und egoistische Art. Die Straße, die seit Jahrhunderten von Gonsenheim nach Budenheim führte, ließ er sperren und durch eine neue Straße ersetzen, die in weitem Bogen um seinen Schlosspark geführt wurde. Es gab keine Hindernisse für ihn und sein Vermögen. 1914 kaufte er riesige Waldflächen hinzu, legte dort Fischteiche an (die heutigen sieben Weiher Richtung Heidesheim) und ließ das als Ausflugsziel beliebte Forsthaus „Ludwigshöhe“ abbrechen und als „Wendelinusheim“ im Gonsenheimer Wald wiederaufbauen. Nördlich der Straße – im Bereich des heutigen Reiterhofs Schäfer - wurden Obst, Gemüse und Spargelfelder angelegt, Gärtner eingestellt und Gewächshäuser gebaut, die der Versorgung des Schlosses dienten. Die Bevölkerung sperrte er aus. Er privatisierte den beliebten Ausflugsforst indem er das riesige Gelände mit einem Bretterzaun umgab, was zu einem Proteststurm bei der Bevölkerung führte. Der Zaun wurde mit Parolen verziert, teilweise eingerissen und der Finther Bauunternehmer Struth, der den Zaun erstellt hatte, wurde bedroht und heftig kritisiert. Sogar die Fastnachter griffen das Thema auf in einem Vortrag über den „Wald Vernageler“. Die Mainzer Druckerei Harth druckte eine Postkarte, die einen Husar mit einem Brett vorm Kopf zeigte. Auch die Architektur des Schlosses war umstritten und wurde von Kritikern als „ein Stück Stein gewordene Götterdämmerung“ verhöhnt.

Trotzdem profitierte die Region durch das Projekt. Zwei Jahre waren alle Fuhrbetriebe von Mainz und Umgebung rund um die Uhr beschäftigt, das Material von den Bahnhöfen an die Baustelle zu schaffen, Waldthausen mietete sämtliche Zimmer der Umgebung für seine Handwerker, und die lokalen Handwerker hatten Aufträge ohne Ende. Die Steinmetze der Region hämmerten von früh bis, gewaltige Mengen Muttererde wurden herbeigeschafft, um den Park um das Ge-bäude zu gestalten. Am Ende verschlag das aufwendige Projekt weit, weit mehr als die veranschlagten 480 000 Goldmark. Histo-riker sprechen von einer Investitions-summe von über 10 Millionen Goldmark, eine für die Zeit unvor-stellbare Summe.

1909 zogen die Waldhausens dann ein und führten in dem Haus mit seinen 40 Zimmern ein Leben in Luxus mit Hausdame, sieben Hausmädchen, 2 Kindermädchen, Chauffeur, Pferdepfleger, Gärtnern und Pförtner. Das Innere des Schlosses war mit luxuriösen Möbeln, von Thonet oder der Mainzer Möbelmanufaktur Anton Bembé eingerichtet und verfügte über neueste Technik. So hat die Mainzer Firma Käuffer & Co. die für damalige Zeiten modernste Heizungsanlage mit Warmwasserversorgung für alle Räume installiert. Es gab eine eigene Elektrizitätserzeugung und eine englische Hausorgel. Die Rassepferde des Pferdenarren Waldthausen bekamen ihr Futter in marmornen Futtertrögen, die 4 Autos des Autonarren standen in einer geheizten Garage. Waldthausen selbst saß oft mit dem Fernglas oben auf dem Turm und sah nach seinen Rheinschiffen. Jeder seiner Kapitäne war verpflichtet beim Vorbeifahren an Budenheim die Dampfsirene ertönen zu lassen und wehe einer unterlies es.

Das Glück der Waldthausens war aber nur von kurzer Dauer, denn 1914 emigrierte er in die Schweiz, um sich der Zwangsrekrutierung zu entziehen. Dort lebten sie in einer eigenen Villa in Lugano bis sie 1924 nach Wiesbaden zurückkehrte, wo er 1928 starb. Nach Schloss Waldthausen, wo sie gerade einmal fünf Jahre gelebt hatten, kamen sie nie mehr zurück.

1941 verkauften die Erben das Schloss und den Park an die NS Wohlfahrt, die dort Kinder aus ausgebombten Familien und angeblich auch eine SS Einheit unterbrachte. Nach dem Krieg zogen zuerst die Amerikaner ein, denen das französische Militär folgte. Die wertvolle Inneneinrichtung verschwand nach und nach, niemand kann heute sagen wann und wohin. Das Gelände ging 1955 an die Bundesvermögensverwaltung, die es bis 1976 für verschiedene Zwecke der Bundeswehr nutzte. 1978 erwarb die Stadt Mainz Schloss und den nahen Park, der größere Teil des Waldes ging an den „Zweckverband Lennebergwald“. 1982 übernahm der Sparkassenverband Rheinland-Pfalz das Gelände um das Schloss in Erbpacht, baute es zu einem Schulungszentrum aus und bildete dort bis zum 01.01.2020 Bankfachkräfte aus.

Heute steht alles leer, der Park verwildert langsam, die Fontäne im Teich liegt still, die Wasserfläche verschwindet unter Gras und Schilf. Die Natur holt sich den Park zurück und eine zukünftige Nutzung zeichnet sich aktuell nicht ab für die riesige Immobilie. Die Rede ist von einem Internat, einer Schule, einem Hotel – die Spekulationen schießen ins Kraut. Noch ist das Gelände zugänglich, ein Ausflug dorthin lohnt sich, die Anlage ist auch Teil des Mainzer Höhenwegs. Wer sich umsieht, der entdeckt neben dem mächtigen Bau noch viele Spuren der kurzen Ära Waldthausen. Da ist die Terrasse mit den beiden Bronzehirschen des Mainzer Bildhauers Hubertus Hiller, gegossen im „Mainzer Gusswerk“, die Kastanienallee, die kleine Sandsteinnische am Weg zum Teich und Reste des ehemaligen Wasserlaufs im zugewachsenen Park. Auch anderswo hat Waldthausen Spuren hinterlassen, das beweisen die 39 Waldthausenstraßen, die es in Deutschland gibt. Waldthausen selbst und seine Erben haben große Teile des Vermögens in Stiftungen gegeben, die viel bewirkt haben, etwa bei der Gründung des Folkwang Museums in Essen.

Kurt Merkator

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