Ein Versuch der Lokalisierung - Teil 2
In den historischen Quellen werden drei Mühlen in Finthen erwähnt. Eine davon war die Mühle am Königsborn, die vermutlich 1466 gegründet wurde. Das genaue Alter und damit die Geschichte der Mühle am Königsborn ist in den momentan zur Verfügung stehenden Quellen nur bedingt fassbar.
Die Schwierigkeit besteht in der konkreten Zuordnung der älteren, schriftlichen Quellen zur Mühle, dort finden sich nur indirekte Aussagen zur Lage und Größe. Erst in Verbindung mit dem geschichtlichen Kontext und einer entsprechenden Interpretation derer, ist eine Zuordnung der Mühle am Königsborn zu historischen Quellen möglich. Die erste konkrete und eindeutige Zuordnung der Mühle am Königsborn finden wir in der Urkatasteraufnahme von 1842. Dort ist nicht nur ihre Lage, sondern auch die damals gültige Bezeichnung „Stärkmühl“ für das Objekt überliefert. Wir setzen deshalb mit unseren Betrachtungen an dieser Stelle an, verfolgen zunächst die Geschichte der Stärkmühle, um uns dann den wesentlich älteren Quellen zuzuwenden.
Die Stärkemühle am Königsborn
Wir befinden uns im Jahr 1842. Finthen gehört seit 1816 zum Großherzogtum Hessen und liegt in der Provinz Rheinhessen. Der relative junge Staat befindet sich noch immer im Aufbau. Um 1840 wird mit der Aufnahme der Kataster in der neuen Provinz begonnen, so auch in Finthen.
Die Stärkemühle liegt als einzelnes, giebelständiges Gebäude etwa einen ¾ km nördlich des Ortsrandes von Finthen am Kühweg (heute Waldthausenstraße). Direkt vor der Mühle zweigt ein Feldweg nach Westen zu den eigentlichen Kuhweiden ab. Aus ihm soll später die Domitianstraße hervorgehen. Die Situation ist heute noch für das geschulte Auge erkennbar, obwohl um 1898 die heutige Waldthausenstraße in einer Kurve den Hang gelegt wurde, um eine gleichmäßigere Steigung zu gewährleisten. Dabei wurde der ehemalige Feldweg in Höhe der Domitianstraße durchtrennt und das Rumpfstück zwischen Kurve und Mühle zurück gebaut. Die Urkatasteraufnahme ist damit der erste, konkrete Hinweis auf eine Mühle an besagter Stelle.
Die Mühle ist jedoch älter. Einen ersten, leider nicht durch Quellennennung belegten Hinweis finden wir in der Festschrift zum 25-jährigen Priesterjubiläum von Pfarrer Lambert von 1948. Die Autoren Preller und Schreiber erwähnen einen gewissen "Lorrant", der um 1800 Besitzer der Mühle sein soll, um dort im Rahmen einer vorindustriellen Produktion Stärke zu gewinnen.
Konkrete Belege finden sich ab 1829 im Geburts- und Sterberegister der Gemeinde Finthen. Am 15.02.1829 stirbt Anna Maria Antoni in der Mühle, die als „Nathans Mühle 198 / Wolfergass“ eingetragen ist. Ihr Vater, Franz Antoni (auch Deantoni), wird in dem gleichen Eintrag als Stärkefabrikant bezeichnet. Er stirbt kurz darauf am 11.05.1829 ebenfalls in der „Wolfergasse, Nathanische Mühle 198“. Wiederum kurz darauf, am 07.09.1829, heiratet seine Tochter Johanna Catharina Antoni den 1797 in Gonsenheim geborenen Bäckerknecht Johann Fatter, in den Urkunden auch Vatter oder Vater geschrieben. Johann Fatter scheint das Geschäft seines Schwiegervaters übernommen zu haben, denn in dem Sterbeeintrag seiner Schwiegermutter vom 29.12.1836 wird der „Tochtermann“ im Alter von 39 Jahren ebenfalls als Stärkefabrikant bezeichnet. Die Verstorbene wird zudem als Witwe von Franz Antoni, Stärkefabrikant, in der „Renk Mühle“ im Bann Finthen genannt. Die Namensgebung „Renk Mühle“ für die Stärkmühle ist einmalig und kann bislang in keinen Zusammenhang gebracht werden.
Besagter Johann Fatter (Vatter) wird am 12.07.1843 im Alter von 46 Jahren erneut als „Müller u. Stärkefabrikant im Bann von Finthen" genannt. Kurz darauf muss er seinen Beruf aufgegeben haben, denn bereits am 16. 09. 1843 wird ein „Herr Schambert auf der Stärkmühl bei Finthen“ als Auftraggeber für einen Meßbrief genannt. Auf dem Meßbrief ist die Mühle klar als Einzelgebäude erkennbar. Nebengebäude wie Stallungen oder Schuppen sind nicht verzeichnet. Damit war das Anwesen im Gegensatz zur Jungenfeldschen Mühle recht klein, was wiederum als Indiz für die Nennung in einer historischen Quelle herangezogen werden kann.
Bernhard Schambert wird am 10.10. 1843 aus Anlass der Totgeburt „seines Kindes“ erneut im Sterberegister erwähnt. Er ist zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt, seine Berufsbezeichnung ist wie bei seinen Vorgängern Stärkefabrikant. Nach diesem Eintrag verliert sich die Spur der Familie Schambert. Die „Nathanische Mühle 1“ wird nur noch einmal im Sterberegister anlässlich des Todes von Carl Seckert am 30.03.1845 erwähnt.
Ebenfalls 1845 erscheinen in Naumburg zwei Bücher von Johann Friedrich Kratzsch, in denen die Stärkemühle, bzw. die Nathansche Mühle genannt werden. Dort heißt es im „Lexicon der sämmtlichen Ortschaften der deutschen Bundesstaaten" auf Seite 309:
"Das Dorf Finthen, auch Fintheim (Fontana), an der Chaussee von Mainz nach Bingen und am Gonsenbach liegend, hat außer einer Kirche 1 Schulhaus, 1 Rathaus, 1 Mahl- und 1 Stärkmühle."
Im zweiten Buch (Vollständiges topographisch-justitiarisches Handbuch der sämmtlichen Deutschen Bundessstaaten. Von Eduard Zimmermann) finden sich , wenn gleich auch widersprüchlich, Angaben zur Anzahl der Bewohner und des Gebäudes. Auf Seite 180 lautet der Eintrag unter "N":
"Nathans Stärkefabrik bei Finthen. – Stärkemühle, zur katholischen Pfarrei Finthen, resp. zur evangelischen Pfarrei in Mainz gehörig. 1 H. 9 E. Großherzogth Hessen, Provinz Rheinhessen, Kreis Mainz Landbezirk, Friedensgericht Nieder-Olm, Kreisger. Mainz, Oberger. Mainz."
Auf Seite 590 lautet der Eintrag unter "S" dagegen:
"Stärkefabrik, Nathansche Finthen Stärkemühle zur evangel. Pfarrei in Mainz gehörig, 1 H. 7 E. Großherzogth Hessen, Provinz Rheinhessen, Kreis Mainz Landbezirk, Friedensgericht Nieder-Olm, Kreisger. Mainz, Oberger. Mainz."
Drei Jahre später, 1848, richtet ein gewisser Held aus Mainz eine „Leinwandfabrik“ zur Herstellung von Tuch aus Leinen in der ehemaligen Mühle ein und stellt 40 Webstühle darin auf. Es ist anzunehmen, dass diese durch die Wasserkraft über Transmissionsriemen angetrieben werden. Damit endet faktisch der Mühlenbetrieb.
Am Rande sei erwähnt, dass der gleiche Eigentümer Held 1861 wohl zur Regulierung des Wasserzulaufs einen Teich anlegen lässt. Dabei stößt er auf einen gemauerten Wasserkanal, der ihn sehr an die römische Wasserleitung in Köln erinnert. Leider gibt es weder über den genauen Fundort noch über die genaue Beschaffenheit oder Größe des Kanals detailierte Angaben. Dennoch kann dieser verschollene Fund als Indiz für den Verlauf der römischen Wasserleitung von Finthen nach Mainz angesehen werden.
Die "Leinwandfabrik" des Herrn Held wird später von den Gebrüdern Kuchen aus Frankfurt übernommen, welche sie 1868 wiederum an die Gebrüder Becker verkaufen, die das Gelände zu einer Brauerei mit Biergarten ausbauen. Das Barock aussehende Mühlengebäude bleibt zunächst erhalten und wird im Zuge der Erweiterung der Brauerei permanent um weitere Gebäude ergänzt. 1904 wird das ehemalige Mühlengebäude durch einen repräsentativen Neubau ersetzt, das fortan als Wohnhaus mit Gastraum dient.
Das Alter der Mühle
Allem Anschein nach wurde die Stärkemühle erst um 1800 durch besagten Lorrant errichtet. Auch auf Kartenwerken vor 1800 fehlt die Mühle. Damit scheint die Sachlage relativ eindeutig. Dennoch vermutet der Autor ein höheres Alter für die Mühle.
Betrachten wir uns zunächst die erste fotografische Aufnahme der Königsbornbrauerei von 1892. Dort ist das ursprünglich allein stehende, historische Mühlengebäude klar erkennbar. Mit seinem Krüppelwalmdach sticht es deutlich aus den damals modernen Backsteinneubauten hervor. Die Dachform verweist in eine Zeit vor 1800 und ist typisch für das Barock. Aus dem geschichtlichen Kontext heraus wissen wir, dass Finthen im 30-jährigem Krieg fast vollständig zerstört worden war. Der Wiederaufbau begann ab 1648 und fällt damit in die Hochphase des Barock. Es ist anzunehmen, dass auch die außerhalb Finthens gelegenen Mühlen in Mitleidenschaft gezogen worden waren und ihre Besitzer sie dem Zeitgeist entsprechend wieder herrichten ließen.
Die Dachform wäre allerdings nur ein mageres Indiz, gäbe es nicht eine Quelle, welche die Existenz einer kleinen Mühle für das Jahr 1756 belegen würde. Bei der Quelle handelt es sich um eine „Renovation (entspricht einer heutigen Bestandsaufnahme, d. A.) der dem Kloster Weißfrauen zu Mainz zinspflichtigen Güter in der Gemarkung (Finthen) durch Oberschultheiß Johann Jakob Schmidt und sechs genannte Schöffen zu Finthen, angelegt durch Gerichtsschreiber Johannes Jakob Krämer 1756 März 20“.
Leider fehlt auch hier eine genauere Ortsangabe, die einen eindeutigen Bezug zur Stärkemühle herstellen könnte. Alleine der Hinweis „kleine Mühl“ deutet darauf hin, dass es sich hierbei um die Mühle am Königsborn gehandelt haben müsste, die offensichtlich im Gegensatz zu der Jungenfeldschen Mühle oder auch der Oberen Aumühle, keine Nebengebäude hatte und damit tatsächlich relativ klein war.
Es gibt jedoch noch eine wesentlich ältere Quelle, die auch indirekt den Standort am Königsborn benennt und von der bereits im ersten Teil die Sprache war. 1466 wird ein „Orte Snerre von Richelßheim“ als Beständer (Pächter) eines
„molnflecken (Mühlenplatzes) unden ane dem dorffe Funthen bey der weyde“
genannt. Er sollte dort auf eigene Kosten eine Mühle bauen. Zu diesem Zeitpunkt existieren bereits zwei Mühlen im Besitz des Domprobstes. Diese dritte Mühle "bey der Weide" kommt nun hinzu.
Besitzer und Verpächter der Mühle ist der Amtmann und Domkanoniker Salentin von Scharfenstein, an den der Pächter, sowie an dessen Nachkommen (als Amtmann) jährlich 10 Malter Korn zu liefern hat. 1490 verleiht das Domkapitel die Mühle, in dessen Besitz sie sich nun befindet, für 10 Malter Korn an „Hen Schyt von Ingelnheym“. Scharfenstein hatte die Mühle zuvor dem Kapitel als Seelgerätstiftung vermacht. Ein Eigenname für die Mühle wird nie genannt, wahrscheinlich hatte sie keinen. Um welche Mühle könnte es sich also gehandelt haben und wo war ihr Standort?
Den entscheidenden Hinweis liefert die Angabe „bey der Weide“. Hierbei kann es sich nach Ansicht des Autors nur um die Kuhweide handeln, die sich bis heute in den Flurstücksbezeichnungen „In der Weide", "Ober der Weide" und "Weidenrech" erhalten hat. Die genannten Flurstücke liegen alle in räumlicher Nähe zur Domitianstraße. Diese wiederum ging aus dem Feldweg hervor, über den die Kühe auf die Weide getrieben wurden und an dessen Anfang die Mühle am Königsborn lag. Demnach wäre die Mühle am Königsborn mit der Mühle "bey der Weide" identisch und bereits 1466 errichtet worden.
Zusammenfassung zur Geschichte der Mühle am Königsborn
1466 errichtet ein Orte Snerre von Richelsheim unweit Finthen bei der Weide eine Mühle. 1489 geht diese Mühle in den Besitz des Domkapitels über. 1490 wird sie nochmals in dessen Besitz erwähnt. Für die nächsten 266 Jahre haben wir keine Kenntnis von der Mühle. Entweder kennen wir die Belege nicht oder aber die Mühle verfällt und wird zwischenzeitlich zur Wüstung.
Der Autor geht jedoch von einer „stillen“, wenn auch nicht belegbaren Existenz aus. Aus dem Besitz des Domkapitels scheint die Mühle in den Besitz des Weißfrauenklosters übergegangen zu sein. 1756 wird sie im Rahmen einer Renovation erwähnt.
Um 1800 tritt die Mühle am Königsborn dann erstmals als Stärkemühle in Erscheinung. Eine andere, spätere Namensgebung – Nathans Mühle - leitet sich wohl von einem der ehemaligen Besitzer ab, der für uns momentan nicht näher fassbar ist. Die Mühle wird zunächst zur frühindustriellen Produktion von Stärke genutzt, woraus sich ihre funktionale Bezeichnung als Stärkemühle ableitet.
Das passt zudem in den allgemeinen geschichtlichen Kontext. Finthen gehört seit 1797 zu Frankreich, dessen Grenze der Rhein ist. 1798 werden die mittelalterlichen Zünfte aufgelöst und die Gewerbefreiheit eingeführt. 1802 werden die Klöster säkularisiert, ihre Besitzungen werden entweder verstaatlicht oder verkauft. Das betrifft auch das Weißfrauenkloster in Mainz, deren kleine Mühle in Finthen vermutlich in diesem Zusammenhang in den Besitz des vorgenannten Lorrant übergeht. Er dürfte aufgrund der neuen Gesetzeslage die Gunst der Stunde genutzt haben und einer der ersten, freien Gewerbetreibenden in dem sonst bäuerlich geprägten Finthen gewesen sein.
Nach der Schlacht bei Waterloo muss Frankreich die 1797 übernommen linksrheinischen Gebiete 1815 wieder abgeben. Finthen kommt zum Großherzogtum Hessen. Spätestens ab 1829 ist nicht mehr Lorrant, sondern eine Familie Antoni (vormals Deantoni), später der Schwiegersohn Vetter im Besitz der Mühle.
Bis 1848 wird sie zur Produktion von Stärke genutzt, bevor der neue Eigentümer Held den Betrieb auf das Weben von Tüchern umstellt. Damit verliert die Mühle ihre Funktion als solche.
Noch einmal wechseln sich die Besitzer ab. Frühestens ab 1861/62 sind die Gebrüder Kuchen aus Frankfurt die neuen Eigentümer. Auch sie betreiben eine Tuchweberei. Doch das Geschäft in dem relativ kleinen, alten Gebäude scheint zu unrentabel und nicht konkurrenzfähig zu sein.
1868 wird das Objekt schließlich an die Brüder Becker aus Gonsenheim verkauft. Die ehemalige Mühle wird nun zu einer florierenden Brauerei mit großem Biergarten ausgebaut. 1904 wird an Stelle des alten Mühlengebäude ein Neubau mit Wohnungen und Gastraum errichtet. Das ist das Ende der historischen Mühle am Königsborn.
Standort der dritten Mühle
Nach wie vor wissen wir nur, dass es im Mittelalter drei Mühlen in Finthen gab, zwei im Besitz des Domprobstes und eine im Besitz eines Amtmanns. Sie ging später an das Domkapitel über. Zwei urkundlich überlieferte Mühlen können wir örtlich zuordnen und als Jungenfeldmühle bzw. Stärkmühle identifizieren. Die dritte Mühle scheint jedoch im wahrsten Sinne des Wortes vom Erdboden verschwunden. Es finden sich weder bauliche Reste noch Hinweise in Flurnamen.
Möglicherweise handelt es sich bei der fehlenden Mühle ja um die Obere Aumühle, die in unmittelbarer Nähe der Jungenfeldmühle lag und ebenfalls dem Domprobst gehörte, wie ganz Finthen und Gonsenheim ohnehin. Der Übergang dieser Mühle von der Finther Gemarkung in die Gonsenheimer Gemarkung im Mittelalter wäre denkbar.
Das sind jedoch Spekulationen, die es zu beweisen gilt. Vielleicht wird uns die Zukunft Klarheit über den Verbleib der dritten Mühle liefern, vielleicht aber auch nicht. Wie dem auch sein, wir werden wir versuchen, Licht ins Dunkle zu bringen.
Ingo Schlösser, Finthen 2012